Immer gibt es einen Istzustand. Und fast immer sind Informationen zum Ist notwendig – für die Analyse, für die Verbesserung/Optimierung der Ist-Situation, oder “nur” für die Dokumentation des aktuellen Zustands. Diese Informationen zum Ist gilt es zu ermitteln. Aber wie macht man das richtig und effizient?!
Daneben müssen in Projekten, Vorhaben oder auch zu anderen Zwecken Informationen ermittelt werden über zukünftige Entwicklungen, insbesondere über Ziele und Anforderungen der Stakeholder oder über konkrete Lösungsmöglichkeiten zur Änderung/Verbesserung des Istzustands.
Welche Inhalte für eine Erhebung von Bedeutung sind, hängt von dem jeweiligen konkreten Vorhaben ab. Typisch sind allerdings Fragestellungen zu den Aufgaben, die beispielsweise im Istzustand einer Abteilung erledigt werden, von wem die Aufgaben bearbeitet werden (Aufgabenträger), welche Sachmittel eingesetzt werden, welche Informationen benötigt oder verarbeitet werden. Mehr dazu in einem vorhergehenden Blink.
Verschiedene Erhebungstechniken können eingesetzt werden. Wir schauen uns die folgenden an:
- Interview
- Fragebogen
- Beobachtung
- Multimomentstudie
- Multimomentstudie mit Selbstnotierung
- Zeitaufnahme
- Dokumentenstudium
- Selbstaufschreibung
- Laufzettelverfahren
- Schätzung
- Erhebungsworkshop
- Erhebungsmix
Interview (mündliche Befragung)
Sollen Interviews durchgeführt werden, müssen die folgenden Sachverhalte geklärt sein:
- Auswahl eines geeigneten Interviewers (der insbesondere die Interviewtechnik beherrscht),
- Auswahl der geeigneten Auskunftspersonen (die über das benötigte Wissen verfügen und möglichst am jeweiligen Vorhaben Interesse haben),
- Klärung des Zwecks und der Inhalte der Erhebung (eher grobe Übersicht oder konkrete detaillierte Einzelheiten ermitteln),
- Klärung der technischen Merkmale (dazu gehören insbesondere Ort und Zeit des Interviews).
Standardisierte Interviews sind mündliche Befragungen nach einem festen Schema; sie ähneln damit einem Fragebogen. In der betrieblichen Praxis werden häufiger nicht-standardisierte Interviews genutzt. Ihnen liegt ein stichwortartiger Leitfaden zugrunde, den der Erheber/Interviewer lediglich als Gedächtnisstütze verwendet.
Ein Interview sollte einem formalisierten Aufbau folgen. Zwischen den „weichen“ Einführungs- und Ausklangsphasen, die eine angenehme Gesprächsatmosphäre herstellen sollen, liegt eine sachliche Erhebungsphase. In dieser können folgende Schritte durchlaufen werden: Sammlung allgemeiner Informationen, Abfrage von Zielen/Anforderungen des Interviewpartners, Erfragen von Lösungen und Bewertung dieser Lösungen, abschließend eine Zusammenfassung. Die dabei verwendeten Fragen sollten kurz, redundanzfrei, offen, konkret, nicht-suggestiv sein und keine Unterfragen enthalten.
Fragebogen (schriftliche Befragung)
Erhebungen durch Fragebogen sind dem standardisierten Interview ähnlich, allerdings werden die Fragen schriftlich festgehalten und den Befragten zugesandt. Die zu beachtenden Aspekte bei einem Interview (siehe oben) sollten auch bei einem Fragebogen angewendet werden.
Vor dem Einsatz von Fragebogen müssen die Anwendungsbedingungen geprüft werden. Dazu gehört insbesondere, dass die Fragen möglichst selbsterklärend sind. Nach dem Entwurf des Fragebogens sollte ein Test durchgeführt werden, ob die Fragen und die Ausfüllanleitungen so wie beabsichtigt verstanden werden. Erst danach sollte der Fragebogen den Befragten zur Verfügung gestellt werden.
Beobachtung
Beobachten umfasst die optische Aufnahme und die Interpretation der beobachteten Vorgänge. Bei der offenen Beobachtung tritt der Beobachter ausdrücklich als Untersuchender auf, d. h. die beobachteten Personen kennen zumindest den Zweck seiner Anwesenheit (eine verdeckte Beobachtung sollte in betrieblichen Projekten nicht durchgeführt werden). Der Beobachter sollte die beobachteten Personen grundsätzlich über Ziel und Inhalt der Beobachtung informieren.
Bei der strukturierten Beobachtung zeichnet der Beobachter seine Beobachtungen nach einem System von Beobachtungskategorien auf, z. B. Anteil der Aufgaben mit Kundenkontakt und Anteil interner Aufgaben. Bei der unstrukturierten Beobachtung liegen nur grobe Hauptkategorien (allgemeine Richtlinien) als Rahmen vor.
Multimomentstudie
Ziel einer Multimomentstudie ist es, von einer begrenzten Anzahl beobachteter Fälle – einer Stichprobe – auf die Gesamtheit aller Ereignisse (die Grundgesamtheit) zu schließen. Man beobachtet den infrage kommenden Sachverhalt in vielen Augenblicken (daher der Begriff “Multi-Moment”). Werden bestimmte Regeln befolgt, kann unterstellt werden, dass die Stichprobe ein nützliches Abbild der Grundgesamtheit liefert. Dieses Verfahren erspart im Vergleich zu einer Dauerbeobachtung erheblich Zeit und Kosten.
Eine Multimomentstudie läuft nach folgendem Schema ab: Ziel festlegen, Beobachtungsmerkmale festlegen, Zahl der Notierungen festlegen, Zahl der Rundgänge festlegen, Startzeitpunkte der Rundgänge festlegen, Rundgangswege und Beobachtungsstandpunkte festlegen, Beobachtungsbogen entwerfen, Beteiligte informieren, Informationen erheben und auswerten.
Multimomentstudien mit Selbstnotierung
Der wesentliche Unterschied zur Multimomentstudie mit Fremdbeobachtern liegt darin, dass die Betroffenen die zu ermittelnden Sachverhalte selbst notieren. Ein Gerät oder eine Software mit einem Zufallsgenerator gibt den Mitarbeitern optische oder akustische Signale, die sie zur Notierung auffordern.
Zeitaufnahme
Die Zeitaufnahme (Zeitstudie) setzt die Gliederung der zu untersuchenden Aufgaben in bestimmte Teilaufgaben bzw. Schritte eines Geschäftsprozesses voraus. Für diese werden direkt und kontinuierlich mithilfe von Zeitmessgeräten die Bearbeitungszeiten für einzelne zu beobachtende Fälle erfasst.
Dokumentenstudium
Beim Dokumentenstudium werden Erhebungen nicht vor Ort, sondern am Schreibtisch vorgenommen. In der Regel werden die Betroffenen nicht eingeschaltet, sondern durch den Ermittler selbst durchgeführt.
Das Dokumentenstudium steht meistens am Anfang einer Untersuchung, um sich in eine Materie einzuarbeiten und allgemeine Informationen zu sammeln. Dabei können analoge und digitale Dokumente genutzt werden in Form von Briefen, Berichten, Protokollen, Dateien, Akten, Gutachten, Arbeitsanweisungen, Stellenplänen, Statistiken usw.
Selbstaufschreibung
Bei der Selbstaufschreibung füllen die Betroffenen Vordrucke aus, z. B. Tagesberichte. Damit können folgende Informationen gewonnen werden: die erledigten Aufgaben, der Zeitaufwand für einzelne Aufgaben, der Zeitanteil einzelner Aufgaben (Zeitrang) im Vergleich zu anderen sowie die Häufigkeit (Mengen) des Aufgabenanfalls.
Laufzettelverfahren
Das Laufzettelverfahren ist eine Untersuchungstechnik, die sich auf den Arbeitsablauf bezieht. An einen Informationsträger (Beleg, Vorgang, Akte, Antrag usw.) wird ein Laufzettel geheftet. Alternativ können Softwaretools statt eines physischen Laufzettels genutzt werden. Auf dem Laufzettel werden Eingangs-, Ausgangs- und Bearbeitungszeiten, die Art der Bearbeitung und der Bearbeiter eingetragen.
Schätzung
Durch möglichst leicht zu ermittelnde Daten aus Vorperioden (historische Schätzmethode), eventuell auch durch Vergleiche mit verwandten Sachverhalten, können Informationen beispielsweise über Kosten, Zeiten und Mengen gewonnen werden, um sie für geplante Vorhaben zu nutzen.
Erhebungsworkshop
Ein Erhebungsworkshop ist eine Arbeitsgruppe, die speziell für den Zweck der Erhebung einberufen wird. Sie setzt sich meistens aus Experten des betreffenden Fachgebiets und den wichtigsten Stakeholdern zusammen und wird von einem Moderator begleitet, der für ein zielorientiertes Vorgehen sorgt.
Durch die Einbindung der Stakeholder steigt die Wahrscheinlichkeit für vollständige Ergebnisse. Gleichzeitig besteht die Chance, die Akzeptanz der Ergebnisse zu verbessern.
Erhebungsmix
In der Praxis geht es meistens nicht darum, die eine oder andere Erhebungstechnik zur Bestandsaufnahme einzusetzen. Vielmehr wird häufig ein ‚Sowohl-als-auch‘ sinnvoll sein. Da jede Erhebungsaktion vorbereitender und nachbereitender Schritte bedarf, kommt es auf die zweckmäßige Kombination von Erhebungstechniken an. Zur Vorbereitung einer Interview-Serie kann es beispielsweise nützlich sein, auf vorhandene Unterlagen zurückzugreifen (Dokumentenstudium).
Ausblick
Im nächsten Blink betrachten wir Techniken und Tools zur Analyse.
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Rückblick
Nach einem Überblick zum Buch „Organisation und Business Analysis – Methoden und Techniken“ wird im ersten Blink das erste Kapitel „Grundlagen“ zusammengefasst.
Das zweite Blink erläutert Methoden, die ein Projekt oder Vorhaben in zeitlicher Hinsicht strukturieren.
Das dritte Blink betrachtet das Systemdenken, das zur inhaltlichen Strukturierung eines Projekts beiträgt.
Das vierte Blink befasst sich mit den besonderen organisatorischen Vorkehrungen Projektmanagement, da Projekte normalerweise in ihrer konkreten Form einmalig sind.
Im fünften Blink geht es um Auftragserteilung – Was wird von mir erwartet und wie “laufe” ich zielgerichtet los?
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